zirbelkiefer

zirbelkiefer

wie deine astfingrige hand auf den tisch schlägt,
knorriger alter holzwille, du unruhiges geäst!
immer noch: wurzelnd in windel und rollstuhl
deine sture, zweiggliedrige kraft

schönes, altes zirbelkieferweib!
aus wie vielen herzen trinkst du dein blut?
wie viele nester und vögel,
wie viele samen und früchte gabst du uns dafür zurück?

aus welchen quellen speißt sich dein lachen,
aus welcher erde ziehst du diese wut,
mit der du frosthart gegen pfleger und kinder
dein sitzenbleiben, dein wurzeln im früher und jetzt verteidigst?

manchmal scheint es, als ziehe sich dein glühender kern
zurück hinter die alte rinde, besinnt sich,
mittig und still ins zentrum, lauscht
stumm und entfernt ins wurzelwerk,

die alten venen hinauf, dem wasser hinterher,
als sei alles gesagt, dort
in den spitzen deiner weißen blatthaare
perlt das zeitgetränkte rauschen deiner geschichte

(c) polaroidkamera

gesellinnenbrief

erst spät verriet man uns, du habest
der großen spielerin auf die finger geschaut,
ihrem uralten regelwerk folgend
tiefe und form leise entziffert,

zeile für zeile lachend
in dein schweigen geritzt,
habest, als die fahrt am schnellsten
mutig dem rad in die speichen gegriffen,

verkündet, alles sei gelernt, sowieso
alles gesagt und der zeitpunkt günstig,
um auf wanderschaft zu gehen
in einen frühling, jenseits von uns

(c)polaroidkamera

bastet

schweigend scheinbar
tief im beton der mauer
wurzelnd lotrecht
eine katze sich wärmend unverrückbar

ins licht des morgens gesetzt
als hätten ihr die alten göttinnen persönlich
schaltwerk und bremsmechanik
des weltenrades vermittelt

lächelt sie
einen wimpernschlag lang durch die
sich drehenden speichen der zeit
hindurch bevor sie wissend

mit innerem anlauf
der osmotischen saugkraft des augenblicks
folgend von der mauer hinab
und in den tag zurückspringt

(c)polaroidkamera

mantra

die trommeln die trommeln
sie tragen die klänge die klänge
von wasser von rad und von stein

von rädern von rädern
sie rollen das weinen das weinen
aus wange aus auge und lid

die steine die steine
sie mahlen das lachen das lachen
zu kiesel zu sand und zu staub

vom wasser vom wasser
es treibt uns sein rauschen sein rauschen
zu anfang und ende zurück

(c)polaroidkamera

wasser 2 / wellen

du rauschst, rauschst wie der donner, wie donner umspülst du mich flüchtig, rollst kiesel und stein, rollst kiesel und sand mit dir

wie eine welle, wie eine welle spuckst du sie aus vor die füße, die kiesel, du trägst sie im rauschen, landwärts die berge, du lachst und verwirfst dich

meerwärts zurück

(c)polaroidkamera

wasser1/ uferohren

die fingergrüne scheu
der mooslieder gepaust am

atmenden kussmund der
forelle verrät sich

der fließende
brustkorb
der blauen mäander

(c)polaroidkamera

die sprache der beeren

wie er die füße
in die erde seine
füße seine erdfüße die alten und

die hände
zwischen das grün seine
hände seine grünhände die schmutzigen und

mir die beere
in den fingern seine
beere reichte die schönste im beet und

ich meine füße
auf dem gehweg meine
füße hob die kleinen und

sie zertrat
die beere
zertrat

(c)polaroidkamera

auf dem dach

morgens trägt der wind, sagt man. in der dämmerung wiegt man nichts.

wenn man rennt, rennt mit leeren händen, so schnell, dass ziegel bersten
wenn man rennt, rennt wie tausend teufel mit nackten füßen und wirrem haar
wenn man rennt, rennt in den brennenden morgen, die augen schließt
und springt

dann, sagt man, trägt er.
der wind

(c)polaroidkamera

wie ich in den besitz einer tigerpfote kam

es war schon spät in der nacht, als ich, während ich schrieb, beim kratzen mit meinem bleistift auf dem papier eine lücke zwischen den geschrieben worten entdeckte, die sich bei genauem hinsehen als kleine graue tür herausstellte. ohne mich wundern zu dürfen, gewann die tür an größe und schien nach einigen wenigen sekunden ausreichend groß genug für mich, um mit beachtlicher mühe hineinsteigen zu können. weil ich von natur aus ein feigling bin, griff ich nach einem roten bindfaden und befestigte diesen fest am fuße meines schreibtisches, denn ich hatte sorge, mich zu verirren. eine kerze schien mir als angemessenes licht, denn es war mir ein anliegen, ohne zu stolpern durch die tür die stiegen hinabzukommen, die sich mir auftaten.

ich trat in einen raum, dessen decke durchsichtig mir den blick durch die buchstaben von unten hinauf in mein arbeitszimmer ermöglichte. die buchstaben waren groß und stabil und hielten den raum fest wie nur eine gut gezimmerte decke aus holzbalken es besser hätte bewerkstelligen können. von dieser architektur ganz in anspruch genommen, vernahm ich am ende des raumes das leise flüstern erst spät.

Im eck saß eine alte vettel mit hängenden brüsten und grauen haaren stumm, nackt und versunken in eine tätigkeit, die sich mir erst auf das zweite hinsehen erschloss. sie sah mit geduldiger liebe einem großen tiger zu, der von ihrem gedärme fraß. „nicht schlingen, du gieriges kätzchen, lass das schmatzen sein“ sagte die alte und strich dem tiger freundlich über den kopf.

es war eben jener tiger, der mich mehrfach im traume besucht hatte und dem zu ehren ich mich an jenem abend an meinem schreibtisch eingefunden hatte, um ihm ein gedicht zu schreiben. ich stand und sah den beiden zu, aber keiner kümmerte sich um mich.

verstimmt über die tatsache, dass man mich nicht beachtete, räusperte ich mich hörbar, nicht ohne mich, vor unsicherheit schwankend, sicherheitshalber an den wänden stützen zu müssen. da blickte die vettel mit bösen augen auf und schaute mir ins herz.

glaubst du wirklich, deine worte sperren uns ein? fragte sie mich mit lüsterner stimme.

sehr wohl glaube ich das, sehen Sie nur genau hin wie massiv gezimmert die buchstaben doch sind.

du dummer junge schrie die alte mit hoher stimme. du dummer, dummer junge. beim sprechen spuckte sie speichel und verlor milch aus ihren brüsten. sie strich dem tiger lächelnd über den kopf und lachte dabei so laut, dass ihr lachen funken schlug.

wie auf ein stummes zeichen hob der tiger den kopf und zeigte seinen blutverschmierten mund, der – war es ein lächeln oder war es boshaftigkeit – eine reihe spitzer zähne mir offenbarte.

mit einem rasenden satze setzte sich das ungetüm in bewegung, sodass ich mich entschied, die flucht anzutreten. ich rannte und rannte, für wahr, ich bin ein tüchtiger renner. aber tiger sind tüchtiger. so holte er mich satz um satz ein und hätte wohl mir mein frisch rasiertes gesicht zerfetzt, wäre ich nicht nah genug an der türe gestanden, die ich nun, nachdem ich mich voller sorge durch sie hindurchgezwängt hatte, versuchte zuzuschlagen.

dies fiel mir jedoch außerordentlich schwer, denn der tiger hatte seine pfote bereits durch die tür gezwängt und schlug mit ausgefahrenen krallen blind und toll vor wut auf meinem schreibtisch herum. ein wenig überfordert mit dieser situation griff ich nach einem kleinen messerchen, das ich auf meinem schreibtisch stets liegen habe, um meine briefe zu öffnen und rammte die kleine scharfe klinge mit wucht in die pfote des tigers. unter dem papier brüllte die katze vor schmerz und tiefer im dunkel hörte ich das lachen der alten vettel. da packte mich ein wirbelnder zorn und ich beschloss, den tiger nicht so einfach davonkommen zu lassen. mit meinem ganzen gewicht stemmte ich mich entschlossen gegen die türe und verwehrte dem tiger somit das zurückziehen seiner pranke. ich schnitt und rührte eifrig mit meinem messer im blutenden fleisch der pfote herum und lauschte mit wildem herzschlag dem schmerzensgebrüll des tigers.

da das messer sehr klein war, war es ein langwieriges und nervenzehrendes unterfangen, bis ich endlich die pfote der katze vom körper getrennt auf meinem tische liegen sah. endlich nun konnte ich die türe schließen, die, nachdem sie einmal geschlossen, langsam im weiß des papieres wieder verschwand.

keuchend und aus vollen zügen atmend sah ich die tigerpfote und ertappte mich schon dabei, überlegungen anzustellen, wo an der wand eine solche trophäe sich wohl am besten ausstellen ließe, als mir einfiel, dass ich den roten bindfaden und die kerze dort unten im raum hatte liegen lassen. der faden schien mir im kampfe gerissen zu sein, lediglich am tischbein war noch ein wenig davon zu bemerken.

so war es denn mehr ein tausch als eine beute und ich beschloss, lustlos und voller müdigkeit, die tigerpfote besser mitsamt dem beschriebenen papier in den papierkob zu werfen

(c) polaroidkamera

nachts

sie geht über die dächer wie fallendes laub.
sitzt auf giebeln und simsen sie singt und sie schaut
auf die zehen der kinder im dunkel der nacht
fühlt die wärme der füße sie singt und sie lacht

wie ein schatten wie nebel und manchmal im traum
greift sie gierig und leise nach köpfchen und saum
zum herzschlag der kinder tanzt sie und trinkt,
die betten sind kalt wenn sie satt ist und winkt

(c)polaroidkamera