gesellinnenbrief

erst spät verriet man uns, du habest
der großen spielerin auf die finger geschaut,
ihrem uralten regelwerk folgend
tiefe und form leise entziffert,

zeile für zeile lachend
in dein schweigen geritzt,
habest, als die fahrt am schnellsten
mutig dem rad in die speichen gegriffen,

verkündet, alles sei gelernt, sowieso
alles gesagt und der zeitpunkt günstig,
um auf wanderschaft zu gehen
in einen frühling, jenseits von uns

(c)polaroidkamera

wasser 2 / wellen

du rauschst, rauschst wie der donner, wie donner umspülst du mich flüchtig, rollst kiesel und stein, rollst kiesel und sand mit dir

wie eine welle, wie eine welle spuckst du sie aus vor die füße, die kiesel, du trägst sie im rauschen, landwärts die berge, du lachst und verwirfst dich

meerwärts zurück

(c)polaroidkamera

auf dem dach

morgens trägt der wind, sagt man. in der dämmerung wiegt man nichts.

wenn man rennt, rennt mit leeren händen, so schnell, dass ziegel bersten
wenn man rennt, rennt wie tausend teufel mit nackten füßen und wirrem haar
wenn man rennt, rennt in den brennenden morgen, die augen schließt
und springt

dann, sagt man, trägt er.
der wind

(c)polaroidkamera

kleiner sommer ich

fand dich unter meinen sohlen
eingerollt mit
blauen lippen in
meiner hand dein
atem ging mit dem
tauenden eis
kleiner toter sommer dein
kleid zerriss der regen die
fetzen verteilte der wind
übers land ich
vergrub dich in der erde
kleiner toter sommerleib
schneeglocken läuten
dir nach

(c) polaroidkamera

weil

mit der sonne
und ich lieg
mit der sonne
auf der brust
lieg ich

im wind
und ich sitz
mit dem wind
in den haaren
sitz ich

im gras
und ich streichel
mit dem gras
an den zehen
streichel ich

dich
und ich lach
mit dir
auf den lippen
lach ich

(c)polaroidkamera

im herbstregen

als er mir kalt,
kalt in den jeans hing, fiel
mit den blättern aus der kälte
fiel mir ins haar

wie ich stand,
stand stumm im regen, zitterte
mir indigo auf die lippen
zitterte im laub

als du mich trafst,
trafst mit deinen augen, ließt
mich im regen, du unterm schirm
ließt mir dein lächeln zurück

(c)polaroidkamera

Polaroid

Polaroid

Sie hält den Labello mit ihrer rechten Hand. Schaut konzentriert. Sie hat blonde Haare. Sie hat eine kleine spitze Nase. Sie hat einen großen Mund. Ein Spatz. Federpflege. Draußen ist es kalt.

Draußen ist es Herbst. Hier ist es warm. U-Bahn. Sie schaut in einen kleinen Schminkspiegel. Der Spiegel schaut zurück. Sie macht sich ein Bild. Sie nimmt den Labello und zeichnet, fährt nach, radiert. Sie macht sich ein Bild.

Ich sehe sie an. Ich bin ein Spiegel. Eine Kamera. Ein Handy. Das ist mein Bild: Blonde Haare. Spitze Nase. Großer Mund. Spatz.

Ich nehme eine Schere und schneide sie aus dem Bild heraus. Aus der U-Bahn, dem Sitz, der Tür. Setze sie in andere Bilder. Probiere aus: Ein Wohnzimmer. Ein Café. Eine Umkleide.

Sie schaut in den Spiegel.

Sie hebt den Blick. Sie sieht mich an. Nimmt mir die Schere aus der Hand. Schaut auf meinen Basteltisch und meine Bilder. Nimmt sich heraus. Kein Wohnzimmer, keine Umkleide, kein Café. Sie setzt sich ins Bild zurück.

Ich steige aus. Polaroid.

(c)polaroidkamera